Marion Hafenrichter, Referentin für freiwilliges Engagement in der Flüchtlingshilfe beim Caritasverband für die Diözese Münster, Carolin Therling, Fachstelle Weltkirchliche im Bistum Münster, Nayiri Arslanian und Dr. Christian Müller, Dozent für Politik und Internationales an der Akademie Franz Hitze Haus (v.l).Jürgen Flatken / Caritas im Bistum Münster
"Ich bin nicht besonders beliebt bei den Schleusern und Menschenhändlern", erzählt Nayiri Arslanian während ihres Vortrags "Kämpferin gegen den Menschenhandel. Einsatz für Frauen und Mädchen im Libanon" den über 50 Teilnehmenden, die am Donnerstagabend, 19. Oktober, die Kooperationsveranstaltung des Diözesancaritasverbands Münster und der Akademie Franz Hitze Haus besucht haben. "Ich gehe raus in die Vororte und Flüchtlingscamps und treffe mich dort mit Frauen, die vom Menschenhandel bedroht oder bereits Opfer geworden sind", fährt die 39-jährige Sozialarbeiterin fort, die versucht, Frauen und Mädchen vor Menschenhandel und Zwangsprostitution, Kinderarbeit und häuslicher Gewalt zu bewahren. "Ich möchte ein Bewusstsein schaffen dafür, dass es das in unserem Land gibt, und dagegen ankämpfen."
Arslanian ist im Rahmen des Weltmissionsmonats des katholischen Hilfswerks missio Aachen vom 16. bis 22. Oktober im Bistum Münster zu Gast. Die missio-Kampagne steht in diesem Jahr unter dem Leitwort "Ihr seid das Salz der Erde" und stellt Menschen aus dem Libanon und Syrien in den Mittelpunkt. "Der Libanon ist ein politisch korruptes und wirtschaftlich bankrottes, instabiles Land, in dem Menschenhandel, Sexarbeit, Kinderarbeit und moderne Sklaverei an der Tagesordnung sind. Tendenz steigend", erklärt die Beiruterin den Teilnehmenden. Viereinhalb Millionen Einwohner stünden zwei Millionen Flüchtlinge, zum Großteil aus Syrien, gegenüber. Das führe zu Spannungen und Gewalt zwischen den verschiedenen Gruppen im Land.
Viele Flüchtlinge würden als Angestellte in libanesischen Haushalten oder Restaurants arbeiten. Oft nähmen die Arbeitgeber, die sogenannten Sponsoren, ihren Arbeiterinnen den Pass ab, um diese an sich zu binden. "Wenn die Arbeitnehmerinnen dann ihre Sponsoren verlieren, weil diese selber kein Geld mehr haben, müssen sie das Haus verlassen und rutschen in die Illegalität ab."
Nayiri Arslanian will diesen Frauen helfen und engagiert sich in ihrer Heimat für "Talitha Kum", ein internationales Netzwerk von Ordensfrauen gegen Menschenhandel und Ausbeutung, das in über 90 Ländern aktiv ist. Im Jahr 2009 in Rom gegründet, hat es das Ziel, den Menschenhandel zu bekämpfen.
"Wir haben mit unserer Arbeit zusammen mit der katholischen Kirche in den Pfarrgemeinden angefangen." In Programmen und Workshops versuchen Arslanian und ihre Mitstreiterinnen, Frauen und Mädchen zu bestärken, ihnen Kraft zu geben, ihnen ihre Würde zurückzugeben, um aus dem Zirkel der Abhängigkeit herauszukommen. "Wir sind eine kleine, junge Organisation mit einem geringen Budget", sagt die Sozialarbeiterin. Sie helfen im Rahmen ihrer Möglichkeiten, vermitteln Betroffene an Rechtsanwälte oder Psychologen, klären auf. Das katholische Hilfswerk missio unterstütze das Netzwerk - in Kooperation mit Partnern vor Ort.
Um bekannter zu werden, "gehe ich in Schulen, katholische, aber auch technische und berichte den Lehrern und Schülern, dass es auch an deren Schulen Betroffene gibt. Ich will ein Bewusstsein schaffen für diese Problematik." Dabei setze die 39-Jährige auf Mund-zu-Mund-Propaganda. So besuche sie auch die Schulen der Gutsituierten und stelle ihr Programm dann im Gottesdienst vor.
Das Netzwerk habe sich den Namen "Talitha Kum" bewusst gegeben. Jesus habe zu einem verstorbenen Mädchen auf aramäisch gesagt: Talita kum! Mädchen, steh auf! Für Arslanian die Zusage Gottes: du bist nicht allein. "Das bestärkt auch mich in meiner Arbeit. Und unser Erfolg gibt mir recht. Wir haben schon über 1.000 Mädchen das Leben gerettet."
Dass Licht und Schatten dicht beieinander liegen, erfahren die Teilnehmenden als Arslanian erzählt, dass sie es einerseits geschafft habe, für Mädchen eine Ausbildung zu organisieren, so dass diese mittlerweile auf eigenen Füßen stehen und unabhängig sind. "Dagegen ist eine Frau, die in die Hände von Menschenhändlern geraten war und ich über eineinhalb Jahre betreut habe, nun selbst zu einer Menschenhändlerin geworden." Dieser Rückschlag kann die mutige, beeindruckende und engagierte Frau aber nicht erschüttern: "Ich sehe immer zuerst den Menschen und helfe und unterstütze jede Frau und jedes Kind. Jederzeit! Ich glaube an meine Mission, an meinen christlichen Auftrag und lasse kein Schaf allein, wie es Jesus sagt."
Von Recke bis Recklinghausen, von Emmerich bis Lengerich - die Caritas im Bistum Münster ist für Menschen in Notsituationen da. Ob Jung oder Alt, Alleinstehend oder Großfamilie, mit Behinderung oder Migrationshintergrund, körperlicher oder psychischer Erkrankung. Unter dem Motto "Not sehen und handeln" sind 80.000 hauptamtliche Mitarbeitende und 30.000 Ehrenamtliche rund um die Uhr im Einsatz. Für die Hilfe vor Ort sorgen 25 örtliche Caritasverbände, 18 Fachverbände des Sozialdienstes katholischer Frauen (SkF) und 3 des SKM - Katholischer Verein für Soziale Dienste. Hinzu kommen unter anderem 57 Kliniken, rund 150 Einrichtungen der Behindertenhilfe, 205 Altenheime, 105 ambulante Dienste, 115 Tagespflegen und 22 stationäre Einrichtungen der Erziehungshilfe.
049-2023 (Jürgen Flatken) 20. Oktober 2023