Wie oft er schon seine schwarze Kappe aufgesetzt hat, weiß Karl Kowski nicht. Die vielen Tage, an denen er sich in den vergangenen 15 Jahren für eine Beerdigung zurecht gemacht hat, hat er nicht gezählt. "Vielleicht hundert, vielleicht dreihundert Mal." Die Kappe, die schwarze Hose, das weiße Hemd, das dunkle Jackett - sie hängen immer im Schrank bereit, wenn ein Mitbewohner in Haus Maria Veen gestorben ist. In der Wohneinrichtung für Obdachlose unter dem Dach der Caritas leben etwa 180 Männer, im angeschlossenen Pflegebereich der Obdachlosenhilfe etwa 116. Kowski organisiert dort den ehrenamtlichen Begräbnisdienst der Bewohner.
Der 64-jährige Kowski lebt seit 20 Jahren in einem der vielen Backsteingebäude am Ortsrand des münsterländischen Maria Veen. "Mein Leben hat mich mit vielen Schicksalsschlägen hierhergebracht." Als er jung war, starb seine Mutter, seinen Job als Bergmann verlor er irgendwann, er wurde schwerkrank, begann zu trinken. Im Haus Maria Veen fand er Obdach. Das Haus bekam einen Bewohner, der sich gern für die anderen einsetzte. "Ich habe unter anderem den Krämerladen geleitet und die Skat-Turniere organisiert." Und sich schließlich auch für die Begleitung der Beerdigungen zuständig gefühlt.
"Das ist mir total wichtig", sagt er. "Wir kennen uns hier doch alle und es wäre traurig, wenn einer von uns plötzlich einfach nur weg ist." Abschiedsschmerz und Trauer sollen ihren Platz haben. Dafür sucht er jedes Mal eine Gruppe von mindestens acht Helfern aus. Sie sind bei der Trauerfeier in einer der beiden Kapellen auf dem Gelände dabei, stehen in der Trauerhalle des Friedhofs Spalier und tragen den Sarg zu Grabe. "Ich habe nie Probleme, genug Helfer zusammenzubekommen."
Diakon Michael Koopmann schätzt diese Atmosphäre in der Einrichtung. "Es zeigt sich in diesen Momenten eine Wertschätzung, welche viele Bewohner oft in ihrem Leben nicht erfahren haben", sagt der Seelsorger im Haus Maria Veen. Die Verabschiedung eines Verstorbenen hat deshalb einen hohen Stellenwert. Das merkt er immer wieder an den Reaktionen der Bewohner: "Es gibt hier welche, die reden den ganzen Tag ununterbrochen - nur wenn jemand stirbt, werden sie ganz ruhig."
An diesem Punkt werden Mitbewohner auch ein "Familien-Ersatz", sagt Koopmann. "Sie haben sonst oft niemanden, der sich kümmert." Mitarbeiter und Bewohner gleichen das aus. Mit der entscheidenden Kernaussage: "Keiner darf seinen letzten Weg allein gehen - einfach vergessen werden."
Es ist ein Ausdruck von Würde. Für dessen Gestaltung bei den Bewohnern in der Regel wenig Geld zur Verfügung steht. Je nach Beerdigungsform stellen die Ordnungsämter zwischen zwei und dreitausend Euro zur Verfügung. Bei den so genannten Sozialbestattungen gibt es etwa kein Geld für Grabstein, Blumenschmuck, Nachruf in der Zeitung, Sargträger oder Erstbepflanzung des Grabs. In Haus Maria Veen springen dann Mitbewohner und Mitarbeiter ein. "Wir versuchen alles möglich zu machen, was sich der Verstorbene für seine Beerdigung gewünscht hat", sagt Koopmann.
Es geht um die Würde für Menschen, die ihre Lebenssituation in der Obdachlosigkeit nicht selten als würdelos erlebt haben. Ein solcher Umgang mit dem Verstorbenen strahlt auch in den Alltag der Lebenden aus, sagt Koopmann. "Wenn sie spüren, wie wichtig uns der Mensch auch im Tod ist, erleben sie ein Gefühl der Achtung." Auf dem Friedhof in Maria Veen, wo das eigene Gräberfeld für die Verstorbenen der Einrichtung liegt, ist deshalb auch eine Gedenkstelle in Planung - mit Bänken, Erinnerungsmauer und Namenschildern.
Auch Karl Kowski wird weiter seinen Teil dazu beitragen, dass diese Atmosphäre erhalten bleibt. "Solange ich gesund bin, mache ich den Job im Begräbnisdienst." Kürzlich musste er an der Schulter operiert werden und ein paar Wochen aussetzen. "Da hat mir etwas gefehlt", sagt er. Denn auch wenn der Gang mit dem Sarg über den Friedhof gerade bei langjährigen Freunden auch mal sehr belastend sein kann und Tränen fließen: "Am Ende macht er mir Freude, weil ich weiß, wieviel es allen hier bedeutet."
Von Recke bis Recklinghausen, von Emmerich bis Lengerich - die Caritas im Bistum Münster ist für Menschen in Notsituationen da. Ob Jung oder Alt, Alleinstehend oder Großfamilie, mit Behinderung oder Migrationshintergrund, körperlicher oder psychischer Erkrankung. Unter dem Motto "Not sehen und handeln" sind 80.000 hauptamtliche Mitarbeitende und 30.000 Ehrenamtliche rund um die Uhr im Einsatz. Für die Hilfe vor Ort sorgen 25 örtliche Caritasverbände, 18 Fachverbände des Sozialdienstes katholischer Frauen (SkF) und 3 des SKM - Katholischer Verein für Soziale Dienste. Hinzu kommen unter anderem 57 Kliniken, rund 150 Einrichtungen der Behindertenhilfe, 205 Altenheime, 105 ambulante Dienste, 115 Tagespflegen, 27 Pflegeschulen und 22 stationäre Einrichtungen der Erziehungshilfe.
039-2024 (Michael Bönte) 28. August 2024