Susanne Richter Gomes (links) und Freddy Jäschke (rechts) nehmen das Bücherregal in der Kita St. Martin genau unter die Lupe. 40 Kinderbücher, die Menschen beispielsweise durch ihre Sprache diskriminieren, haben sie und das Kita-Team schon aussortiert. Juliane Büker/Caritas Bistum Münster
"Heute liebt der Prinz einen Prinzen", sagt Susanne Richter Gomes lächelnd. Die Leiterin der Kita St. Martin in Marienfeld bei Gütersloh möchte die Kindergeschichten in ihrer Kita vielfältiger machen - und Diskriminierung keinen Raum geben. Manchmal ändert sie Märchen dafür spontan ab - einige Bücher werden aber auch aussortiert.
"Astrid Lindgren hätte das Buch heute bestimmt anders geschrieben", sagt Susanne Richter Gomes und blättert vertieft durch die abgegriffenen Seiten. Auf dem Buchdeckel von "Erzählungen" prangt ein greller Klebezettel: "In diesem Buch werden diskriminierende Bezeichnungen verwendet", erklärt sie. Es wandert nicht zurück in das Bücherregal. Ihre Kita versteht Richter Gomes als Bildungseinrichtung. Durch Sprache entstehe Wirklichkeit in den 77 Kinder-Köpfen.
Dass es nötig ist, kritisch über die Inhalte von Kinderbüchern nachzudenken, hat Susanne Richter Gomes während ihrer Ausbildung zur Demokratieförderin beim Diözesancaritasverband Münster im Projekt NEXT STEP erkannt, die sie im Mai 2022 abgeschlossen hat. "Hier habe ich das Rüstzeug bekommen, um mich selbstbewusst gegen Ungerechtigkeit einzusetzen", sagt sie. Die Kita-Leiterin möchte Ungerechtigkeit nicht weiter durch Geschichten in Kinderbüchern reproduzieren.
Susanne Richter Gomes‘ Kolleginnen brauchten zum Teil etwas Zeit, um mit der Projektidee warm zu werden, um Unsicherheiten beizulegen. Es sei notwendig, wirklich zu begreifen, worum es gehe und eine Haltung zu entwickeln, sagt sie. Hilfreich sei es gewesen, miteinander zu diskutieren. Gemeinsam hat das Team im Sommer etwa 40 Bücher aussortiert.
Dabei orientiert sich die Kita St. Martin an Bücherlisten - außerdem habe Susanne Richter Gomes schon in ihrer NEXT STEP Ausbildung zur Demokratieförderin gute Infos bekommen. Kriterien zum Aussortieren von Büchern seien neben diskriminierender Sprache auch veraltete Rollenbilder. "Wenn in Büchern nur der Vater arbeiten geht und die Mutter zu Hause bleibt, sind wir auf dem falschen Weg." Die Lücken in den Bücherregalen werden mit sorgfältiger Auswahl wieder gefüllt. Neue Bücher schafft Susanne Richter Gomes gerne mit den Kindern gemeinsam an - zum Beispiel in der Kinder-Sprechstunde der Kita. Schön seien Geschichten, in denen der Vater die Erziehung mit übernimmt oder ein Kind im Rollstuhl selbstverständlich am Leben teilnehme.
Kinder lieben Geschichten. Dabei ist die Auswahl der passenden Kinderbücher mit einiger Verantwortung verbunden: Denn durch Sprache entstehe Wirklichkeit in den Köpfen der Kinder, weiß die Kita St. Martin. Juliane Büker/Caritas Bistum Münster
Engagierte Mitstreiterin im Buch-Projekt wurde die junge Kollegin Freddy Jäschke. Mit dem Projekt habe Susanne Richter Gomes bei ihr offene Türen eingerannt. "Diversität fördern geht schon los, wenn Kinder sagen, sie möchten mit Hautfarbe malen. Welche Farbe ist das?" Freddy Jäschke hat beobachtet, dass gerade Kinder in den ersten drei Lebensjahren keinen Unterschied zwischen Menschen anderer Sprache, Hautfarbe oder Körperlichkeit machen. "Es gibt von Natur aus keine Tendenz zur Ausgrenzung, wenn, dann ist sie anerzogen", bemerkt sie. Eine Erkenntnis, die den Effekt des Buch-Projektes in der Kita und seinen demokratiefördernden Erfolg noch vielversprechender macht.
Wenn es Diskriminierung und Rassismus aus den Bücherregalen geschafft haben und Pluralität eingezogen ist, seien die Kinderlieder der nächste Schritt, sagt Richter Gomes.
In dem Projekt NEXT STEP beim Diözesancaritasverband Münster haben sich neben Susanne Richter Gomes schon 12 Teilnehmende als Demokratieförderinnen und Demokratieförderer qualifiziert. Die nächste Fortbildung für zukünftige Demokratie- und Beteiligungsgestalter startet im Januar 2023. Mehr Informationen auf www.caritas-muenster.de/next-step.
075-2022 (bü) 6. September 2022
Mehr Informationen und einen Leitfaden zu einem rassismuskritischen Sprachgebrauch finden Sie zum Beispiel in der Broschüre "Sprache schafft Wirklichkeit".