Arezo Amiri – die 28-Jährige möchte weitergeben, was ihr selbst geholfen hat. Michael Bönte / Caritas für das Bistum Münster
Da gibt es dieses Sozialkaufhaus mitten in Herbern nahe dem münsterländischen Ascheberg. Eine Anlaufstelle der Gemeinde-Caritas für Menschen, die auf preiswerte Angebote von Kleidung, Haushaltswaren, Büchern oder Spielzeug angewiesen sind. Als Arezo Amiri vor fast zehn Jahren hierherkam, gehörte sie zu dieser Gruppe. Aus dem Iran nach Deutschland gekommen, hatte sie nach Stationen in Übergangsunterkünften gerade eine Wohnung in dem kleinen Ort bei Ascheberg bezogen. Ihre Situation war aus verschiedenen Gründen enorm belastend.
Denn freiwillig hatte sie diesen Weg nicht gewählt. „Ich war von meiner Familie in eine Beziehung mit einem Mann gezwungen worden“, erzählt sie. „Ich habe ihn nie gemocht.“ Sie war im jugendlichen Alter, er zwanzig Jahre älter. Sie machte Abitur, er war Analphabet. Sie wollte studieren und ein eigenständiges Leben beginnen. Er beschloss, mit ihr und der gemeinsamen Tochter nach Deutschland zu gehen. „Für mich eine furchtbare Vorstellung, aber ich hatte keine Wahl.“
Sie ist eine starke Frau. Mit dunklen Augen, in denen oft das Selbstbewusstsein glänzt, das sie auf ihrem Weg aus der Situation brauchte. Sie wollte raus aus der Beziehung, weg von dem ungeliebten Partner, ein Leben in Selbstbestimmung beginnen. Noch im Übergangslager holte sie sich Hilfe, um sich und ihrer damals zweijährigen Tochter das ermöglichen zu können. Als sie nach vielen Monaten nach Herbern kam, konnten sie zu zweit eine kleine Wohnung beziehen. Alleinerziehend, ohne Arbeit, mit noch ungeklärtem Aufenthaltsstatus – das war die Situation, als sie auf der Suche nach Bekleidung das erste Mal das Sozialkaufhaus betrat. Sie öffnete damals die Tür zu einem Ort, der bis heute eine zentrale Bedeutung für sie haben sollte. „Er war und ist Sprachschule, Kontaktbörse, Lebensmittelpunkt …ein Stück Heimat für mich geworden.“ Und er wurde zu einem Raum, in dem sie ehrenamtlich „etwas von dem zurückgeben konnte, was ich selbst erleben durfte: Hilfe“.
Die Mitarbeitenden des Angebots sahen ebenfalls die strahlenden und entschlossenen Augen von Arezo Amiri. Und sie hörten ihr Deutsch, das ohne Unterricht bereits gut zu verstehen war. Ein Zeichen ihres Ehrgeizes, denn sie saß auch ohne Unterricht daheim und lernte fleißig. Schon wenige Tage später stand sie auf der anderen Seite der Ladentheke, sortierte Kleidung, bereitete sie für den Verkauf vor und dolmetschte für die vielen Kunden mit Migrationshintergrund.
Bei allem Einsatz – Amiri spricht von einem „riesigen Geschenk“, wenn sie von ihren oft mehrtägigen Präsenzzeiten im Kaufhaus spricht. „Ich musste daheim keine Probleme mehr wälzen, bekam von den Mitarbeitenden Unterstützung bei bürokratischen Fragen und Hilfe bei der Bewältigung des Alltags.“ Und sie konnte immer mehr Verantwortung übernehmen, bekam bald den Schlüssel zum Geschäft, um auch mal die Öffnungszeiten selbst zu managen.
Auch als sie ihren in Deutschland anerkannten Schulabschluss nachholte, Praktika machte und bei einem Wohlfahrtsverband jobbte, unterbrach sie ihr Engagement nicht. Selbst nach einem Arbeitstag und der Versorgung ihrer Tochter fand sie noch Energie, um sich für das Angebot für die Menschen einzusetzen, die in einer ähnlichen Situation wie sie damals in das Sozialkaufhaus kamen.
„Das werde ich auch nicht beenden, wenn ich im kommenden Jahr meine Ausbildung als Kauffrau im Gesundheitswesen beginne“, sagt sie. Es ist für sie eine „Entscheidung aus Dankbarkeit“. Die empfindet Arezo Amiri nicht als verpflichtend, sondern als beflügelnd. Das ist deutlich wahrzunehmen, wenn sie mit ihren entschlossenen Augen von ihrem Weg berichtet.
Von Recke bis Recklinghausen, von Emmerich bis Lengerich – die Caritas im Bistum Münster ist für Menschen in Notsituationen da. Ob Jung oder Alt, Alleinstehend oder Großfamilie, mit Behinderung oder Migrationshintergrund, körperlicher oder psychischer Erkrankung. Unter dem Motto „Not sehen und handeln“ sind 80.000 hauptamtliche Mitarbeitende und 30.000 Ehrenamtliche rund um die Uhr im Einsatz. Für die Hilfe vor Ort sorgen 25 örtliche Caritasverbände, 18 Fachverbände des Sozialdienstes katholischer Frauen (SkF) und 3 des SKM – Katholischer Verein für Soziale Dienste. Hinzu kommen unter anderem 57 Kliniken, rund 150 Einrichtungen der Behindertenhilfe, 205 Altenheime, 105 ambulante Dienste, 115 Tagespflegen, 27 Pflegeschulen, 89 Kindertageseinrichtungen und 22 stationäre Einrichtungen der Erziehungshilfe.
001-2025 (mib) 09. Januar 2025