Sandra Rolfs, Leiterin der Frühförderung und Kindertagesstätten bei den Vestischen Caritas-Kliniken in Nordkirchen.Foto: Sven Mörth / Caritas im Bistum Münster
Jonte kullert bäuchlings über die grüne Motorikrolle und lacht. Eine Physiotherapeutin unterstützt den Vierjährigen dabei. Das Therapieangebot im Heilpädagogischen Kindergarten in Nordkirchen ist genau auf die Bedürfnisse des Jungen mit Körperbehinderung abgestimmt. Insgesamt 202 Kitaplätze bietet die Kinderheilstätte der Vestischen Caritas-Kliniken an mehreren Standorten, 53 davon für Kinder mit Förderbedarf. Und der Bedarf steigt, sagt Sandra Rolf, Leiterin des Fachbereichs Frühförderung und Kindertagesstätten. Das Ziel der Landschaftsverbände, alle Kinder mit Behinderungen in Regelkindertagesstätten aufzunehmen, und die Heilpädagogischen Kindergärten (HPK) bis 2026 abzuschaffen, hält die Diplom-Heilpädagogin und Fachwirtin für Sozial- und Gesundheitswesen für falsch. Ihre Kernforderung lautet: "Es sollte so bleiben, wie es jetzt ist - ein sehr gut funktionierendes System, in dem die Kinder nach ihren individuellen Bedürfnissen gefördert werden."
In allen HPK-Teams seien eine hohe Fachlichkeit und interdisziplinäre Zusammenarbeit gegeben, sagt die 48-Jährige: "Erzieher, Heilerziehungspfleger, Heilpädagogen und Therapeuten schauen gemeinsam, was jedes einzelne Kind braucht und wie es bestmöglich gefördert werden kann." Kinder mit Körperbehinderung, Trisomie 21, Autismus, Verhaltensauffälligkeiten, Sprachentwicklungsverzögerungen oder Pflegekinder mit traumatischen Erfahrungen müssten zumeist in Kleingruppen betreut werden. "Viele schaffen es einfach nicht, in einer Gruppe mit 15 Kindern zurechtzukommen", weiß die Leiterin des Fachbereichs der Frühförderung und Kindertagesstätten. Eine Abschaffung der HPK gehe zulasten der Kinder und Familien.
Sandra Rolf unterstreicht, dass Eltern weiterhin die freie Wahl zwischen HPK oder integrativen Kitas haben sollten. Denn: "Die Eltern sind sehr, sehr zufrieden mit dem Konzept unserer heilpädagogischen Einrichtungen." Immer wieder höre sie von ihnen: ‚Hätten wir eher von dem Heilpädagogischen Kindergarten gewusst, hätten wir den Umweg über die Regelkita nicht machen müssen.‘ Denn selbst wenn die Kita um Integration bemüht ist, mangele es häufig an Fachpersonal. Deshalb sei oftmals nur eine stundenreduzierte Betreuung möglich.
"Die Heilpädagogischen Kindergärten leisten eine ganz wichtige, unverzichtbare Arbeit", betont die Vorstandsvorsitzende der Caritas im Bistum Münster bei ihrem Besuch der Vestischen Caritas-Kliniken am 10. November 2022. Rund 4.400 Kinder mit Behinderungen würden zurzeit in Westfalen-Lippe und im Rheinland in spezialisierten heilpädagogischen Einrichtungen betreut. "Entscheidend ist die individuelle Förderung und Teilhabe jedes einzelnen von ihnen", so Pia Stapel. Das sei vor allem durch Kleingruppen, intensive Betreuungsschlüssel, hochprofessionelles Fachpersonal und eine gesicherte Finanzierung möglich. Dies müsse bei den jetzigen Verhandlungen auf Landesebene zur Neustrukturierung der Angebote berücksichtigt werden. Damit Jonte weiterhin über die grüne Motorikrolle kullern und so gut wie möglich gefördert werden kann.
Pia Stapel und Dominique Hopfenzitz bilden seit August dieses Jahres gemeinsam mit Pfarrer Dr. Christian Schmitt den Vorstand der Caritas im Bistum Münster. Auf einer mehrtägigen Tour durch das Bistum besuchen sie Caritasverbände und Einrichtungen, um die Arbeit vor Ort zu erleben. Die Caritas im Bistum Münster ist für Menschen in Notsituationen da. Ob Jung oder Alt, Alleinstehend oder Großfamilie, mit Behinderung oder Migrationshintergrund, körperlicher oder psychischer Erkrankung. Unter dem Motto "Not sehen und handeln" sind 80.000 hauptamtliche Mitarbeitende und 30.000 Ehrenamtliche rund um die Uhr im Einsatz. Für die Hilfe vor Ort sorgen 25 örtliche Caritasverbände, 18 Fachverbände des Sozialdienstes katholischer Frauen (SkF) und 3 des SKM - Katholischer Verein für Soziale Dienste. Hinzu kommen unter anderem 68 Kliniken, rund 150 Einrichtungen der Behindertenhilfe, 232 Altenheime und 18 stationäre Einrichtungen der Erziehungshilfe.
092-2022 (ck) 11. November 2022