Es wird gelacht: Heike Schepers (links) und Krankenpflegerin Sonja Schultewolter bei einem unbeschwerten Moment am Frühstückstisch.Michael Bönte / Caritas für das Bistum Münster
In der Begrüßung liegt die Leichtigkeit einer Frühstücksrunde in einer Studenten-WG. "Guten Morgen, na wie geht‘s?", werden die Gäste im Josef-Haus in Gronau-Epe empfangen. Und fast immer lautet die Antwort "gut" oder "ganz in Ordnung". Das ist erstaunlich, denn die Menschen, die hierherkommen, teilen ein hartes Schicksal. Sie alle sind schwer erkrankt, ohne Aussicht auf Heilung, austherapiert. In dem teilstationären Hospiz finden sie in ihrer letzten Lebensphase einen außergewöhnlichen Ort. Nicht nur weil sie hier pflegerisch gut versorgt sind, sondern weil sie hier eine Zeit erleben können, in der sie und ihre Gefühle voll im Mittelpunkt stehen.
Und die sind an diesem Morgen durchaus positiv. An dem langen Tisch in dem großen, offenen Wohnbereich trudeln die Gäste nach und nach ein, es wird gequatscht, nicht selten gelacht. Vier sind es heute, es gab kurzfristige Abmeldungen. "Manchmal stimmt die Tagesform nicht oder es gibt medizinische Gründe", sagt Hospiz-Leiterin Marina Bloom. "Eigentlich ist das Angebot auf acht Gäste ausgelegt - manchmal sind es mehr, manchmal weniger." Die grundsätzliche Nachfrage nach Plätzen in der Einrichtung, die im November 2023 eröffnet wurde, steigt dabei stetig.
Es geht um Fußball, das Wetter und das Mittagessen, das aus der Küche des St. Antonius-Hospital Gronau geliefert wird. Dessen Träger ist Mitglied im Diözesancaritasverband Münster. Am Tisch steht Alltägliches im Mittelpunkt, nicht die Krankheiten. Auch nicht im Morgenimpuls, zu dem Frau Bloom eine aktuelle Medienmeldung aus dem Norden Deutschlands mitgebracht hat- "Viele Schafe kippen derzeit aufgrund ihrer vielen Wolle um und können nicht mehr aufstehen - Passanten werden gebeten, ihnen ins Fell zu greifen und sie wieder auf die Beine zu stellen."
Die Stimmung der Gäste bleibt gelöst, als sie sich unter die Markise auf die Terrasse setzen. "Wir sind hier wie ein Kindergarten für Erwachsene", sagt Heike Schepers. Die Krebspatientin kommt seit etwa vier Monaten jeden Wochentag ins Hospiz und hat die Atmosphäre schnell lieben gelernt. "In der Tagespflege war es mir viel zu rummelig, ständig gab es Programm." Hier kann sie das machen, wonach ihr gerade der Sinn steht. "Quatschen, basteln oder auch mal etwas kochen oder backen." Die Wünsche der Gäste bestimmen das Programm. Auch wenn sie sich einfach mal in das Bett in ihrem Ruheraum zurückziehen möchten.
Ein Team mit unterschiedlichen Ausbildungen und vielen Talenten steht dafür zur Verfügung. Drei volle Stellen verteilen sich auf die Hauswirtschafterin, Sozialarbeiterin und die fünf examinierten Krankenpflegerinnen. Alle haben sie zusätzliche Ausbildungen speziell für die Hospiz-Arbeit absolviert, etwa im Bereich Palliativ-Care. Dazu kommt ein zehnköpfiges ehrenamtliches Team vom Josef-Haus Förderverein e.V., die alle einen Befähigungskurs in "Sterbebegleitung für ehrenamtliche Mitarbeiter*innen in der Ambulanten Hospizarbeit" absolviert haben. Sie bringen bereichernde Begabungen mit. "Die eine kann gut kochen, die andere gut basteln oder ist musikalisch", sagt Bloom. "Ein pensionierter Zahnarzt hilft bei Zahnschmerzen, eine ehemalige Psychologin hat viel Erfahrung in der therapeutischen Gesprächsführung."
Denn bei aller erstaunlichen Fröhlichkeit - natürlich gibt es auch die Momente der Schwere, in denen gesprochen, gehadert, manchmal auch geweint wird. "Wenn jemand aus der Runde stirbt, wenn die Gedanken an das eigene Lebensende hochkommen, wenn Sorgen und Abschiedsschmerzen mit großer Wucht zuschlagen", sagt Bloom. Dann ist immer Rückzug möglich - gemeinsam mit den Mitarbeiterinnen oder allein.
In einer Schale auf dem Küchenblock liegen um eine Kerze kleine Kieselsteine mit den Namen aller Gäste, auch der Verstorbenen. Es ist der einzige Punkt, an dem der belastende Hintergrund der gemeinsamen Zeit in dem Hospiz verortet ist. Die Vergänglichkeit hat einen Platz gefunden, aber auch die Zuversicht, nie vergessen zu werden.
Von der Terrasse ist wieder ein Lachen zu hören. "Du lebst in einem Zoo", sagt Heike Schepers lächelnd. Es geht um die Tiere von Dieter Voß, zu denen er jeden Abend zurückkehrt. Zu seinen Fischen, zu dem Hamster, den Katzen, Wüstenrennmäusen und Spinnen. Und zu seinem Hund, der ihn immer ausgelassen begrüßt, um sich nachher unter das heimische Krankenbett des Krebspatienten zu legen. "Ich will abends immer nach Hause zurück, will meine Umgebung, meinen Fernseher und die Streicheleinheiten mit den Tieren." Den ganzen Tag daheim würde er aber auch nicht aushalten. "Da starrst du an die Decke und kennst irgendwann jeden Punkt auf der Raufasertapete."
Das Grübeln, die kreisenden Gedanken um die eigene Situation sind besonders belastend. Deswegen sind die Krankheiten in den Gesprächen zwischen den Gästen auch kein Thema. "Bloß nicht", sagt Schepers. "Darüber rede ich sonst schon viel zu oft." Das Wissen über das gleiche Schicksal der anderen macht dabei viel aus. "Ich muss nichts erklären, nichts entschuldigen oder verstecken - ich kann hier ganz locker quatschen."
Das ist auch für die Angehörigen ein gutes Gefühl, weiß Bloom. "Zu wissen, dass unsere Gäste hier eine gute Zeit verbringen können, entlastet sie emotional enorm." Aber auch organisatorisch: Mit dem Arbeitsalltag, mit familiären Aufgaben, mit Betreuung und Krankenpflege sind viele trotz aller Unterstützung von außen irgendwann überfordert. Mit dem teilambulanten Hospiz erleben sie eine Entlastung in allen Bereichen. Die Krankenpflegerinnen können Verbände wechseln, Medikamente und Spritzen geben. Das Netzwerk mit den Ärzten und Krankenhäusern, aber auch mit den Seelsorgern ist dicht geknüpft. "Wir können in den Zeiten hier viel auffangen."
Auch das Bürokratische gehört dazu. Die Tür vom Büro der Hospiz-Leiterin steht immer offen, wenn sie am Schreibtisch sitzt und sich um Anträge, Dokumentationen und Anfragen kümmert. "Der Platz hier ist aber nicht entscheidend", sagt sie und zeigt hinüber zur Terrasse, auf denen die Gäste gerade über das anstehende Grillfest sprechen. "Der entscheidende Platz ist dort."
Zur Caritas für das Bistum Münster gehören zwölf stationäre Hospize, ein teilstationäres Hospiz, 35 ambulante Hospizdienste, 16 Palliativstationen und 35 ambulante Palliativdienste. Um auf die palliativmedizinischen und hospizlichen Bedarfe von schwerkranken Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen aufmerksam zu machen, hat die Caritas ein Themenjahr zur Palliativen Kultur gestartet. Weitere Informationen unter: www.caritas-bistum-muenster.de/palliative-kultur
Von Recke bis Recklinghausen, von Emmerich bis Lengerich - die Caritas im Bistum Münster ist für Menschen in Notsituationen da. Ob Jung oder Alt, Alleinstehend oder Großfamilie, mit Behinderung oder Migrationshintergrund, körperlicher oder psychischer Erkrankung. Unter dem Motto "Not sehen und handeln" sind 80.000 hauptamtliche Mitarbeitende und 30.000 Ehrenamtliche rund um die Uhr im Einsatz. Für die Hilfe vor Ort sorgen 25 örtliche Caritasverbände, 18 Fachverbände des Sozialdienstes katholischer Frauen (SkF) und 3 des SKM - Katholischer Verein für Soziale Dienste. Hinzu kommen unter anderem 57 Kliniken, rund 150 Einrichtungen der Behindertenhilfe, 205 Altenheime, 105 ambulante Dienste, 115 Tagespflegen, 27 Pflegeschulen und 22 stationäre Einrichtungen der Erziehungshilfe.
055-2024 (Text: Michael Bönte) 9. Oktober 2024