Diskussionsfreudig: Der neunjährige Kacper setzt sich im Kinderparlament für eine starke Schulgemeinschaft ein. Foto: Carolin Kronenburg / Caritas im Bistum Münster
Schnurstracks geht Kacper zum Rednerpult, steigt auf den für ihn bereitgestellten Stuhl und stützt sich selbstbewusst mit beiden Händen ab. "Warum dürfen wir auf dem Schulhof kein Fußball mit Lederbällen spielen, sondern nur mit Softbällen?", lautet die Frage des Neunjährigen an das Kinderparlament der OGS Marienwasser in Weeze. Es müsse auch mehr Tore und weitere Fußballfelder geben.
Zusammen mit Sozialpädagogin Laura Haan besprechen die kleinen Parlamentarier, dass die Verletzungsgefahr beim Kicken mit Lederbällen wesentlich höher als bei Softbällen ist und dass das Gelände Platz für möglichst viele verschiedene Spiel- und Sportaktivitäten bieten sollte, damit alle Kinder gerne draußen sind.
Seit August 2022 gibt es das 16-köpfige Kinderparlament an der OGS Marienwasser. Aus jeder Klasse der zweizügigen Grundschule werden zwei Abgeordnete demokratisch gewählt. Anders als die Klassensprechenden seien das nicht immer die Beliebtesten, sondern auch die, die im Schulalltag Schwierigkeiten haben, erklärt Laura Haan. Unter dem Motto "Wenn wir nichts ändern, ändert sich nichts" wird alle vier Wochen oder bei Bedarf zweiwöchentlich getagt - mit dem Ziel, sich für die Gemeinschaft einzusetzen.
Das Hauptaugenmerk liegt laut Laura Haan dabei auf Partizipation: "Hier nehmen die Kinder kein Blatt vor den Mund und sie finden Gehör." Auf der Tagesordnung stehen Themen wie das Mittagessen, Mobbing, der Wunsch nach sauberen Toiletten, Mitbestimmung bei der Anschaffung von Material oder Ideen für Ausflugsziele. Die Sitzungen sind klar strukturiert und Gesprächsregeln gemeinsam vereinbart. Über Anträge wird abgestimmt und sie werden nach Beschlussfassung umgesetzt.
Vom neuen Caterer über zusätzliche AGs bis hin zur Organisation einer Karnevalsparty konnte das Kinderparlament in den vergangenen eineinhalb Jahren schon viel erreichen. Ein Höhepunkt war auch die Sportwoche in den Sommerferien, bei der nach Herzenslust gekickt werden konnte. - Ganz im Sinn von Kacper, der jetzt wieder vom Stuhl klettert und Platz für den nächsten Redner macht.
Dass Demokratie nicht nur in Berlin und Düsseldorf stattfindet, "sondern auch bei uns", betont auch Noah Thyssen. Der 24-Jährige ist zusammen mit Lana Mänche für das Projekt Demokratiebox zuständig. Was vor einem Jahr als wöchentliche AG begonnen hat, wird heute spielerisch in Gruppenstunden zu Grundkompetenzen wie Respekt oder Kommunikation vermittelt. Mit dabei immer die namensgebende Demokratiebox, ein Rollcontainer, gefüllt mit dem Taschenbuch der Kinderrechte, Spielen und Bastelmaterial.
"In einer Klasse, in der viel gestritten wurde, haben wir uns zum Beispiel mit dem Thema Gefühle und der Wahrnehmung von Gefühlen befasst", erzählt Noah Thyssen. Dafür hat er unterschiedliche Materialen wie Gefühlskarten und ein Gefühlsmemory angeschafft. Damit die Kinder lernen, auf ihre eigenen und die Gefühle anderer zu achten und respektvoll miteinander umzugehen.
"Die Schulung der Sozialkompetenz finde ich extrem wichtig", sagt er. Das Projekt bietet für sein duales Studium der Sozialen Arbeit und Sozialpädagogik die Möglichkeit, Theorie und Praxis miteinander zu verbinden. Das Material konnte er mit Fördergeld aus dem Demokratie-Projekt Next Step des Diözesancaritasverbands Münster anschaffen.
"Die Kinder verbringen hier sehr viel Lebenszeit", sagt Noah Thyssen. "Deshalb ist es so wichtig, dass wir ihnen - neben den Eltern - Werte wie Respekt, Toleranz und den Wert einer demokratischen Gesellschaft vermitteln."
"Am wichtigsten ist für uns, dass die Kinder sich hier wohlfühlen und glücklich sind", betont OGS-Leiterin Dagmar Ströher. Die Möglichkeit zur Mitbestimmung sei dafür eine Grundvoraussetzung. 205 Kinder, viele mit Migrationshintergrund, gehen zur Grundschule Marienwasser in Weeze. 162 von ihnen besuchen die OGS in Trägerschaft der Jugendhilfe Niederrhein Anna-Stift.
Als Schule des Gemeinsamen Lernens sei ein besonderes Anliegen der Lehrkräfte, Erziehenden und pädagogischen Ergänzungskräfte, alle Kinder - mit und ohne Behinderung - zu fördern und zu fordern. Das funktioniere aufgrund der guten Vernetzung zwischen den Teams der Grundschule und der OGS besonders gut.
Dass es ab 2026 einen Rechtsanspruch auf Ganztagsförderung gibt, hält die Erzieherin für "längst überfällig". Von der Politik fordert Dagmar Ströher, dass die OGS jetzt endlich auch im Schulgesetz verankert wird. Denn: "Unsere 15 Mitarbeitenden haben einen Bildungs- nicht nur einen Betreuungsauftrag." Zudem müsse man die starren, gesetzlich vorgegebenen Abholzeiten aufweichen, "hier wünschte ich mir für Eltern und Kinder mehr Flexibilität".
Dagmar Ströher habe einen der schönsten Arbeitsplätze der Welt: "Kein Tag ist wie der andere und es gibt so viele schöne Erlebnisse mit den Kindern." Um den Arbeitsplatz OGS für junge Kolleginnen und Kollegen attraktiver zu machen, müsse es allerdings die Möglichkeit geben, in Vollzeit zu arbeiten. Das sei zurzeit in der Regel nur für Leitungskräfte möglich.
Einig sind sich alle Mitarbeitenden und Kinder, dass die neuen Räume der OGS zum Wohlbefinden beitragen - vom Bewegungsraum über die Mensa bis hin zu den Gruppenräumen sind alle hell, funktional und gemütlich. "An der Gestaltung waren und sind die Mädchen und Jungen natürlich beteiligt", sagt die OGS-Leiterin und verrät mit Blick auf die Tischfußballspiele im Eingangsbereich, dass sie auch die Kickerqueen genannt wird.
"Wir spielen, lernen, lachen hier gemeinsam und arbeiten jeden Tag daran, wie unser Zusammenleben verbessert werden kann", sagt Dagmar Ströher. "Zu erleben, wie sich die Kinder entwickeln, ist Balsam für die Seele und unsere Motivation. Jedes einzelne Kind hat unsere Fürsorge verdient."
Von Recke bis Recklinghausen, von Emmerich bis Lengerich - die Caritas im Bistum Münster ist für Menschen in Notsituationen da. Ob Jung oder Alt, Alleinstehend oder Großfamilie, mit Behinderung oder Migrationshintergrund, körperlicher oder psychischer Erkrankung. Unter dem Motto "Not sehen und handeln" sind 80.000 hauptamtliche Mitarbeitende und 30.000 Ehrenamtliche rund um die Uhr im Einsatz. Für die Hilfe vor Ort sorgen 25 örtliche Caritasverbände, 18 Fachverbände des Sozialdienstes katholischer Frauen (SkF) und 3 des SKM - Katholischer Verein für Soziale Dienste. Hinzu kommen unter anderem 57 Kliniken, rund 150 Einrichtungen der Behindertenhilfe, 205 Altenheime, 105 ambulante Dienste, 115 Tagespflegen, 27 Pflegeschulen und 22 stationäre Einrichtungen der Erziehungshilfe.
002-2024 (ck) 23. Januar 2024