Armut geht uns alle an
Nach wie vor ist Deutschland eines der reichsten Länder der Welt - trotzdem steigt die Armutsquote. Armut ist ein gesamtgesellschaftliches, strukturelles Problem - dennoch wird die Verantwortung häufig einzig bei den armutsbetroffenen Menschen selbst gesucht. Das verhindert eine effektive Armutsbekämpfung.
Als armutsgefährdet gilt, wer weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Äquivalenzeinkommens zur Verfügung hat. In Deutschland waren 2021 16,9 Prozent der Menschen armutsgefährdet, NRW lag mit einer Armutsgefährdungsquote von 19,5 Prozent weit über dem Durchschnitt. Die Corona-Pandemie und die Folgen der Katastrophe des Ukraine-Kriegs haben einen grundsätzlichen Negativtrend verstärkt, der seit über 15 Jahren die Armutsentwicklung in Deutschland kennzeichnet. Besonders betroffen sind etwa Arbeitslose, Alleinerziehende und Menschen mit Migrationsgeschichte, Frauen, Kinder, Jugendliche und Studierende und die größer werdende Gruppe der älteren und alten Menschen. Armut bedeutet nicht nur einen Mangel an finanziellen Ressourcen, sondern auch mangelnde gesellschaftliche Teilhabe in zentralen Lebensbereichen wie Bildung, Erwerbsarbeit, gesundheitlicher Versorgung, Wohnen, Politik und Kultur. Das wiederrum hat Auswirkungen auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Armut ist ein gesamtgesellschaftliches, strukturelles Problem, kein individuelles Versagen. Sie wird von ungleicher Bildung, begrenzten Aufstiegschancen, diskriminierenden Praktiken, mangelnder sozialer Absicherung, fehlender Teilhabe und ungleicher Einkommensverteilung genährt. Diese strukturellen Faktoren und die Stigmatisierung von Armut beeinflussen individuelle Lebensverläufe und erschweren es Menschen, sich aus der Armut zu befreien. Armut zieht sich dabei quer durch die Gesellschaft und hat gleichzeitig Auswirkungen auf alle Bereiche des Lebens.
Vor diesem Hintergrund gehen die Caritas und ihre vielfältigen existenzsichernden Dienste armutsrelevante und soziallagenbezogene Fragen in besonderer Weise an. Sie bilden das Herzstück einer zielgruppenorientierten kirchlichen Sozialarbeit und betreffen die ganze Lebensspanne. Dabei sind sie nicht isoliert zu betrachten, sondern stets im Zusammenspiel mit sozialpolitischen Entwicklungen.
Auswirkungen von Armut
Armut hat tiefgreifende und vielfältige Auswirkungen auf Menschen und Gesellschaft. Sie beeinträchtigt den Zugang zu Bildung, Gesundheitsversorgung und angemessenem Wohnraum.
Überdurchschnittlich oft sind Kinder armutsbetroffen, Armut betrifft jedes fünfte Kind in Deutschland. Besonders die armutsbedingte mangelnde Teilhabe ist für Kinder folgenschwer: Sie haben Zuhause weniger häufig einen eigenen Raum zum Lernen, sind von Freizeitaktivitäten mit Freunden und Freundinnen ausgeschlossen oder können nicht zu Kindergeburtstagen gehen, weil sie sich das Geschenk nicht leisten oder selbst nicht einladen können. Dieser frühe gesellschaftliche Ausschluss hat Auswirkungen auf die Lebenschancen dieser Kinder und führt zusammen mit der gesellschaftlichen Stigmatisierung, die auch die Jüngsten schon erfahren, häufig zu einer generationenübergreifenden Verfestigung von Armut.
Armut führt auch bei Erwachsenen zu sozialer Ausgrenzung und Isolation. Nicht nur die eingeschränkten Möglichkeiten, am sozialen Leben teilzuhaben, sondern auch die mangelnde Anerkennung von armutsbetroffenen Menschen als vollwertige Mitglieder unserer Gesellschaft beeinträchtigen das Gefühl der Zugehörigkeit. Die politische Teilhabe von armutsbetroffenen Menschen ist geringer, dadurch sinkt die Repräsentanz der Belange dieser Menschen und ihre Themen finden nicht Eingang in die Politikgestaltung. Auf gesellschaftlicher Ebene erzeugt anhaltende Armut so Unzufriedenheit, soziale Spannungen und Ungleichheit. Die ungleiche Verteilung von Ressourcen und die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich destabilisiert zusätzlich den gesellschaftlichen Zusammenhalt und kann das Vertrauen in Institutionen untergraben. Zudem leidet die physische und psychische Gesundheit, denn existentielle Sorgen und der Mangel an Ressourcen führen zu erhöhtem Stress und machen krank.
In der politischen Debatte werden die Folgekosten von Armut nicht ausreichend berücksichtigt. Wenn die Politik nicht mit wirksamen Maßnahmen gegensteuert, werden auch in Zukunft potentielle Fach- und Arbeitskräfte fehlen und die Sozialausgaben werden bei sinkenden Steuereinnahmen steigen. Dies beeinflusst die wirtschaftliche Entwicklung und das Wachstum und schränkt die Innovationskraft und das Potential dieses Landes ein. Armutsbekämpfung muss daher politisch auf allen Ebenen gestaltet werden. Dabei muss die Perspektive von armutsbetroffenen Menschen unbedingt mit einbezogen werden. Denn Armut in einem reichen Land ist das Ergebnis von Ungleichverteilung, strukturellen Defiziten und von politischen Versäumnissen - nicht von persönlichem Scheitern. Die Politik muss Maßnahmen implementieren, die auf Gerechtigkeit, Chancengleichheit und soziale Integration abzielen.
Armut zieht sich in ihren vielfältigen Auswirkungen als Querschnittsthema durch alle Arbeitsfelder der Caritas, in denen wir beratend und begleitend für unsere Träger und die Einrichtungen und Dienste vor Ort tätig sind. Das betrifft den Bereich der Grundsatzfragen und der damit verbundenen Sozial- und Verbandspolitik, Soziale Dienste und Familienhilfen sowie die Gesundheitshilfe und Fragen und Einschätzungen aus Recht und Wirtschaft.
Ansprechperson: Stefanie Tegeler (siehe unten)
Bereich: Soziale Arbeit